Mangelhafter Ausbildungstand heutiger Kletterer
Kletterforum ->
Sicherungstechnik
|
|
|
Kalle Demetz
Beiträge: 3324
|
Beitrag vom: 18.09.2016 - 17:29
Ich will mit diesem Thema nicht sagen, dass früher alles besser war. Aber es stellt sich doch die Frage, ob die Ausbildung der Kletterer heute zu oberflächlich ist.
Schlingen und Haken in der Wand wird blind vertraut (siehe Beitrag von Anna). Der Hakenabstand darf 2m nicht überschreiten (auch wenn es zig Möglichkeiten gibt, die Tour selber abzusichern). Umlenker haben einen erhöhten Verschleiß, da an ihnen Top Rope geklettert wird. Fehler beim Seilverlauf usw.
Zu meiner Zeit stand das Erlernen der Sicherungstechnik im Mittelpunkt und war ein über viele Jahre andauernder Aspekt. Heute macht man schnell zwei 9-stündige Kurse und bei vielen wars das dann. Selbst die wichtigsten Grundlagen werden heute kaum mehr vermittelt.
Was meint Ihr, wird heute zu wenig Wert auf die Sicherungstechnik gelegt. Welche Gründe hat das (mangelndes Interesse, Sicherungsautomaten, Auslastung von Kletterhallen etc.). |
Seitenanfang |
|
|
|
Anna Witt
Beiträge: 985
|
Beitrag vom: 18.09.2016 - 17:55
Ich glaube, dass das auf der einen Seite eine Auswirkung unseres Anspruch nach SCHNELLEM KONSUM ist.
Sich mit Hintergrundwissen zu beschäftigen setzt einen gewissen Zeitaufwand voraus, Lernen aus Erfahrung eine Menge Geduld, Lernen von anderen ein wenig Demut.
Auf der anderen Seite wird in unserer Gesellschaft der Umgang mit Gefahren , auch RISIKOMANAGEMENT genannt, nicht mehr ausreichend gelernt. Wer Risiken anspricht, ist der Spiel- und Spassverderber (siehe Diskussion "Rechtsprechung Boulderhalle"). Anstatt sich mit Gefahren zu beschäftigen und diese zu vermeiden, werden sie verdrängt.
Risiken und eigene Fähigkeiten gegen einander ab zu wiegen, wird nicht mehr geübt, SELBSTÜBERSCHÄTZUNG dominiert. Der "Fun"-gedanke aus den Hallen trägt sicher zur Gesamtsituation bei.
Der dritte Punkt ist der scheinbar innere Zwang zum Vorsteigen. Egal wie wenig Spass und wie viel Angst (oft auch berechtigt) ein Aspirant hat, so mancher würde niemals nachsteigen. Eine Frage von mangelndem SELBSTBEWUSSTSEIN?
Und zuletzt ist scheinbar die Fähigkeit/Bereitschaft verloren gegangen, von anderen zu lernen, indem man beobachtet, wie erfahrene Kletterer Situationen lösen (z.B. Abbauen im Überhang), oder indem man Fehler/Unfälle anderer vermeidet.
Im Endeffekt liegt dies alles natürlich in der Verantwortung jedes einzelnen Kletterers und tangiert mich bis auf gelegentliche Erste Hilfe Leistungen herzlich wenig.
Wenn jemand etwas macht, was auch andere Kletterer schädigt, sollte man natürlich protestieren. Aber in den meisten Fällen schaden sie ja nur sich selber, und da muss ich sagen: Jeder ist selber für seine Ausbildung verantwortlich und dafür, lange genug mit erfahrener Unterstützung zum Fels zu gehen.
|
Seitenanfang |
|
|
|
Florian Nixmann
Beiträge: 63
|
Beitrag vom: 18.09.2016 - 18:57
Hallo!
Solange der Alpenverein in seinen Kursen "von der Halle an den Fels" für diese und jene Situation Regeln ausgibt, wie man sich zu verhalten hat, und diese dann als "Dogmen" verkauft, solange wird es nicht besser werden. Vielleicht vergessen sie auch nur, daß sie es möglicherweise mit Leuten zu tun haben, die es nicht gewohnt sind, zu widersprechen oder sich eigene Gedanken zu machen, wenn es angebracht ist...
Beispiele:
1. DAV postuliert das ATC (Tube) als "das" Sicherungsinstrument -> fast alle sichern damit -> natürlich passieren die meisten Unfälle dann mit dem ATC! Und: Hat irgendein Kursteilnehmer darüber nachgedacht, ob es für ihn ein geeignetes Sicherungsgerät* ist??? - wohl wenige...
2. DAV sagt, man soll immer einen Knoten ans Seilende machen, damit das Seil beim Ablassen nicht durchrutscht! Gut, darauf hinzuweisen - Doch, wenn man dann am Fels Leute sieht, die in das Ende einen Knoten in ein 60m Seil machen, wenn die Route gerade einmal 10-15m lang ist, dann zeigt das doch, daß Dogmen befolgt werden ohne das Hirn in jedem Einzelfall einzuschalten. Und die Rache folgt sofort: Wenn sie dann das Seil zum Ende hin abziehen, haben sie vielleicht vergessen den Knoten rauszumachen - und er hängt im Umlenker fest!
3. Vor etwa 15 Jahren wollten mich 2 DAV Hallen Aufsichtsspezialisten der Halle verweisen, da ich beim Sichern mit Tuber bzw. Achter beim "Tunneln" mit der Sicherungshand "erwischt" wurde.
Ich fiel aus allen Wolken: Was wollten mir diese Feuchtohren da einreden? Ich darf nicht tunneln, sondern ich sollte immer umgreifen. Ich sagte, ich mache das seit mind. 10 Jahren so, und beim Umgreifen sei die Danebengreifgefahr ungleich höher (habs ihnen sogar mehrmals vorgemacht) - da wurden sie machtbewußt und drohten mir tatsächlich den Verweis aus der Halle an, denn das "Umgreifen" sei eine DAV Regel.
Und was kam ein paar Jahre später: Das Tunneln wurde vom DAV als Regel ausgegeben!
Was lernt man daraus? In JEDER Situation erst denken, dann irgendwelchen Regeln folgen, die man gegebenenfalls gar nicht als logisch verstanden hat.
Und weiter: Kurse, die mal kurz für viel Geld hingerotzt werden, sind weniger wert als gar keine Kurse.
Wenn man in Kursen nur schnell die (derzeitigen und schnell revidierbaren) Standardregeln vermittelt, dabei aber keine Sonderfälle beispielhaft anführt und damit klarmacht, daß jede Situation anders ist, dann macht man aus den Kursteilnehmern kletterunmündige, verblödete Felssoldaten.
In der Halle gibt es eine Reihe von eng gesetzten Bohrhaken. Sonderfälle sind geradeeinmal Überhänge, an denen man sich die Kauleiste raushauen kann und Verschneidungen, in die man pendelsturzweise hineinballern kann. Und vielleicht noch weit herausstehende Henkel, an denen man sich die Füße bricht. Aber sonst...?
Am Fels ist jede Sicherungssituation anders!
Zu weite Hakenabstände, dubiose Köpfel und Sanduhren, die man verwenden kann, aber denen man nicht unbedingt vertrauen sollte, hochdubiose Sicherungsstellen für Keile und Friends (auch dann, wenn man es eig. kann), Normalhaken, denen man auch nie wirklich trauen sollte, selbst Bohrhaken, die nicht immer halten müssen - sie können Fehlerhaft gesetzt sein, in einen Bruchhaufen gesetzt sein, in einen Wackelblock gesetzt sein oder einfach handgesetzte, rostende 2-3cm Dübel aus den 80ern sein.
All das braucht Erfahrung!!! Und wenn man einen Dogmenkurzkurs in einer Halle mitgemacht hat, ist man immer noch in hoher Lebensgefahr - oder gerade deswegen. Weil eine Pseudosicherheit vorgegaukelt wird wie bei einer vorgefädelten Sanduhrschlinge.
lg Flori |
Seitenanfang |
|
|
|
Anzeige
|
Kalle Demetz
Beiträge: 3324
|
Beitrag vom: 19.09.2016 - 06:46
Ja, Regeln stimmen oft, aber halt nicht immer. Sie werden vom DAV deshalb aufgestellt, um möglichst viele Leute in möglichst kurzer Zeit durch ihre Kurse zu lotsen. Hintergrund denke ich ist, dass der DAV seine Hallen voll bekommen will....
Vor kurzem war ich mit jemanden am Fels klettern, der besagte DAV Kurse gemacht aber sonst noch keine Erfahrung hat. Er ist laufend mit dem Fuß hinter dem Seil/Exe gestanden und hats einfach nicht verstanden. Im Nachhinein ist es mir gekommen warum:
Er hatte im Kurs gelernt, dass das Seil immer zwischen den Füßen zu führen ist. Mag in der Halle mit den kurzen Hakenabständen und vor allem dem geradlinigen Routenverlauf durchaus stimmen. Aber am Fels ist der Routenverlauf oft nicht gerade, ein Haken wegen der Felsqualität seitlich versetzt gebohrt etc.
Wie wärs in einem Kurs zu lehren, dass man sich mit den Füßen immer so stellen muss, dass man sich bei einem Sturz nicht im Seil verheddern kann. Aber das würde denken voraussetzten... |
Seitenanfang |
|
|
|
Dominik Gail
Beiträge: 49
|
Beitrag vom: 02.10.2016 - 11:40
Ja, dem kann ich nur zustimmen. Heute zählt nur noch möglichst vielen Kletterern die wichtigsten Sicherungstechniken möglichst schnell beizubringen. Wirklich lernt man die Details der Sicherungstechnik nur, wenn man sich selber engagiert und weiterbildet (was leider die wenigsten machen)... |
Seitenanfang |
|
|
|
|